Jahrmarkt des Protest`s

Studierende der Uni Kiel protestierten gegen Sparmaßnahmen der Landesregierung

Nur etwa 100 Studierende fanden sich am 29.8. zum Aktionstag gegen die wie ein Damoklesschwert über der Uni Kiel hängenden Sparbeschlüsse der Landesregierung auf dem Asmus-Bremer-Platz ein. „Jahrmarkt der bedrohten Fächer“ hatte der AStA das wenig aufmüpfige Kind getauft, und dieser Titel traf genau. Einige der 14 von vollständiger Schließung bedrohten Institute und Fachbereiche stellten mit nett gemeinten Ständen die Wichtigkeit und damit Unverzichtbarkeit ihres Faches heraus.

Völlig falsch war dies sicher nicht, weil bei der nun schon seit Jahren andauernden Misere der Hochschulen infolge konservierter Unterkapazitäten in nahezu allen Bereichen jede gestrichene Stelle, gleich an welchem Institut oder Fachbereich, eine zu viel gestrichene ist, denn selbst Fächer mit geringerer Nachfrage seitens Studierender leiden unter mangelhafter Ausstattung und zu wenig Lehrpersonal. Was jedoch beim Aktionstag nahezu vollständig fehlte, war ein die einzelnen Fachbereiche übergreifender, wirklich gemeinsamer Protest. Zum Teil, wie auf den Unterschriftenlisten zu lesen war, gingen die protestierenden Fachschaften der Standortlogik auf den Leim, indem sie als Argumente für den Erhalt des jeweiligen Instituts dessen Standortvorteile in den Mittelpunkt rückten. Die Strategie des „teile und herrsche“ der Landesregierung war voll aufgegangen, denn für einen unvoreingenommen Betrachter mußte der Eindruck entstehen, daß die Protestierenden nach dem leicht abgewandelten St. Florians-Prinzip vorgingen: „Herr, schließe andere Institute, aber nicht meines“, und daß die Stände wie auf einem echten Jahrmarkt eifersüchtig miteinander konkurrierten. Ja, man konnte an den Tischen mit den Unterschriftenlisten Stimmen hören, daß man ja hier nicht unterschreiben müsse, weil man ja ein anderes Fach studiere, oder: „Ich hab‘ doch schon bei den Pharmazeuten unterschrieben.“

Allein, einzig dem AStA ist dieses Verunglücken des Protests nicht anzukreiden. Immerhin waren die Studierenden mit einer ca. 13.000 DM teuren Postkartenaktion sämtlich auf die drohenden Sparmaßnahmen und den Aktionstag hingewiesen worden. Die Tatsache, daß überhaupt nur rund 100 Studierende den Weg zum Asmus-Bremer-Platz fanden, zeigt deutlich das geringe Interesse des ganz überwiegenden Teils der Studierendenschaft, sich gegen den drohenden Ausverkauf der Uni zu wehren. Offenbar sieht die große Mehrheit der Studierenden ebenso wie die SparerInnen im Landeshaus die Uni lediglich als Ausbildungsstätte für den Beruf, in der jedes Angebot frei disponibel ist. Kurz: wo kein erkennbarer Protestwillen, da ist logischerweise auch kein nennenswerter Protest.

Etwas Wirkung zeigten die Aktionen der Handvoll studentischer AktivistInnen dennoch. Am Tag nach dem Aktionstag warnte Jürgen Weber, hochschulpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, vor einem „kurzsichtigen Einsparen ganzer Fachbereiche“. Der 97er Landeshaushalt dürfe „keine irreversiblen Entscheidungen“ für die Uni enthalten. Dies sei „eine Botschaft an die Hochschulen, die jetzt ihre eigenen Pläne aufstellen, und an die Landesregierung, dafür Sorge zu tragen“, daß 1997 nicht „ganze Fachbereiche aus der Hochschullandschaft verschwinden.“ Vielmehr dürfe „jetzt nicht bestraft werden, wer Innovation unter Beweis gestellt und gezeigt habe, daß er Bürokratie abbauen“ könne. „Wissenschaftliche Reputation eines Faches, Praxisbezug, Qualität der Lehre, Arbeitsplatzchancen der Ausgebildeten und die besondere Bedeutung des Faches für Schleswig-Holstein“ müßten als Kriterien herangezogen werden (dies sind übrigens teilweise genau die Kriterien, die die Unileitung für ihren bis Redaktionsschluß noch inoffiziellen Streichplan heranzog). Entscheidungen müßten im Rahmen einer Strukturplanung getroffen werden und dürften nicht im Haushalt 1997 „über Bord gekippt werden“.

Im selben Atemzug nahm Weber diese Äußerungen, in denen der AStA „Grund zur Hoffnung“ sieht, jedoch wieder zurück: Es könne „keine grundsätzliche Bestandsgarantie“ für die von Schließung bedrohten Institute geben. Überdies wolle Weber „an das Tabu der Studiengebühren ran“.

Das Kabinett begab sich derweil am vergangenen Wochenende, also direkt nach dem Aktionstag, in Klausur, um den Haushalt ’97 zu beraten. Bei Redaktionsschluß standen Ergebnisse noch nicht fest. Lediglich gerüchteweise sickerte durch, daß die Uni statt der angekündigten 6 Mio. 12,4 Mio. DM im 97er Haushalt einsparen soll, wovon - Frucht des Protests? - wiederum 3 Mio. an Einsparungen „erlassen“ wurden. Ein Sparvolumen von „nur“ 9,4 Mio. DM ist freilich ebensowenig zu realisieren, ohne ganze Fachbereiche zu schließen. Hinzu kommt, daß der Unihaushalt auf dem gekürzten Niveau bis mindestens 1999 eingefroren werden soll. Das bedeutet, daß normale tarifliche Gehaltserhöhungen im Öffentlichen Dienst, die in jedem Fall bezahlt werden müssen, nur durch weitere Stellenkürzungen finanzierbar sind. Bei einem erwarteten Gehaltszuwachs von 2,5% bedeutet dies die Streichung von jährlich 60 Stellen, also mehr als durch den „Innovationspool“, in den bis 2001 etwa 50 Stellen pro Jahr fließen sollen, um dort größtenteils gestrichen zu werden. Die Folge dürfte der endgültige Tod der Universität als Stätte des wissenschaftlichen, kritischen Diskurses sein. (jm)